4. Kollegiale Leitung statt Chefarzt-System

Das Chefarzt-System in der gegenwärtigen Form ist das strukturelle Grundübel unseres Medizinbetriebs. Es ist unbestritten, daß viele Chefärzte sowohl in fachlicher als auch in menschlicher Hinsicht Vorbild sind und bei einer Demokratisierung des Medizinbetriebs als ärztliche Direktoren gewählt werden würden. Aber ebenso unbestritten ist, daß nicht wenige mit der gegenwärtigen absolutistischen Machfülle eines Chefarztes überfordert sind und ihre Position mißbrauchen. Unkontrollierte Macht korrumpiert.

Die überhöhte Häufigkeit ärztlicher Maßnahmen wird u.a. durch das lukrative Chefarzt-Privileg auf „ Nebeneinnahmen “ bei der Behandlung von Privatpatienten verursacht. Diese „Nebeneinnahmen“ übersteigen nicht selten um ein Vielfaches das bereits üppige Chefarzt-Gehalt und können an Universitäts-Kliniken und Großkrankenhäusern jährlich bis zu mehreren Millionen € betragen. Bei diesen Möglichkeiten zum Abkassieren liegt es nahe, daß weite Indikationen für ärztliche Maßnahmen und operative Eingriffe gestellt werden, die we­niger dem Patienten als vielmehr dem chefärztlichen Geldbeutel nützen.

Auch die Kliniksverwaltungen, die meist mit den Chefärzten „unter einer Decke stecken“, tragen zur unsachgemäßen, kostentreibenden Verfahrensweise bei. Die tagesgleichen Pflegesätze - inzwischen weitgehend durch Fallpauschalen abgelöst - führten zu überlangen Liegezeiten in den Kliniken, die in Frankreich mit rund 5 Tagen nur etwa halb so lang wie in Deutschland mit etwa 10 Tagen sind. Die deutsche Bevölkerung wird aber keineswegs besser versorgt, denn die französische Bevölkerung ist nicht kränker als die deutsche.

Die überlangen Liegezeiten mit einem „Bettenberg“ - überflüssige Bettenzahl - dienten schlicht dem Abkassieren der Pflegesätze. Kein Kliniksbett durfte kalt werden sondern wurde sofort wieder belegt. Übers Wochenende wurde grundsätzlich nicht entlassen, auch wenn der Patient längst wieder gesund war. Besonders lukrativ waren die horrenden Pflegesätze auf Intensivstationen. Da führte dazu, daß selbst moribunde Patienten im Endzustand einer unheilbaren Krankheit nicht in Würde, Ruhe und Frieden sterben durften, sondern einer apparativen „Intensiv-Quälerei“ unterworfen wurden.

Nicht nur die horrenden Chefarzt-Einkünfte hauptsächlich aus den o.a. Nebeneinnahmen, son­dern auch die administrativen Befugnisse führen zu einer derartigen Machtfülle von Chefärzten, daß eine innerärztliche Opposition gegen eine derartige Übermacht bislang keine Chance hatte und die Beseitigung des Chefarzt-Systems sowie weiterer damit in Verbindung stehender Mißstände bisher nicht durchgesetzt werden konnte.

Das praktisch unkontrollierte Chefarzt­system an den Kliniken, das zum Machtmißbrauch ver­leitet, trägt autoritär-feudalistische Züge nach dem "Führerprinzip" mit Auswüchsen bis hin zum Kada­vergehorsam. Insbesondere an Universitäts- und Großkliniken sind die innerärztlichen Verhältnisse vielfach bedrückend und unerträglich. Es findet eine schamlose Ausbeutung von As­sistenzärzten und eine negative Auslese statt: nicht selten machen diejenige Ärzte Karriere, die durch Kriechertum und „angenehme Beschränktheit“ gegenüber ihrem leitenden Arzt auf­fallen und mit einem gebro­chenen Rückgrat das Chefarzt-System als spätere Klinikchefs stabilisieren.

Die bedrückenden Verhältnisse unter der „Knute“ von Chefärzten führen dazu, daß jeder Assistenzarzt so rasch wie möglich der Klinik entkommen und sich in eigener Praxis niederlassen will, denn nur die wenigsten können selbst Chef einer Klinik werden. Sie wollen dann wenigstens Chef einer eigenen Praxis werden. Voraussetzung für eine Niederlassung in eigener Praxis ist aber nach einer durchschnittlich 6-jährigen Weiterbildungszeit als Assistenzarzt die Facharztanerkennung, die ihrerseits die Erfüllung des Facharztkataloges zur Voraussetzung hat.

Durch den Facharztkatalog muß eine unsinnig große Zahl von operativen Eingriffen des jeweiligen Fachgebietes nachgewiesen werden. Die Anstellungsverträge der Assistenzärzte sind aber befristet. Das führt dazu, daß - salopp gesprochen - „auf Teufel komm raus“ operiert wird, um so rasch wie möglich die notwendige Anzahl von Operationen nachweisen zu können und über die Erfüllung des Facharztkataloges sowohl Facharztanerkennung als auch Niederlassung in eigener Praxis zu erreichen. In der Bundesrepublik wird auf machen Gebieten bis zu doppelt so viel operiert wie in vergleichbaren Industrieländern.

Durch kollegiale Leitungsstrukturen an den Kliniken - wie sie an der Universitätsklinik Herdecke eingeführt wurden - können viele Mißstände beseitigt werden. Durch attraktive Lebensstellungen für alle Ärzte statt befristeter Arbeitsverträge und durch Kliniksambulanzen nach niederländischem Vorbild (s.u.) entfielen die o.a. Zwänge zu einem unsachgemäßen ärztlichen Vorgehen.

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